VingTsun Organisation Brauschweig
Ving Tsun
The Science of Infighting

Wong Shun Leung

Wong Shun Leung wurde am 8. Juni 1935 als ältester Sohn eines kantonesischen Heilpraktikers, der ihm sein Wissen weitergab, in Hong Kong geboren. Schon seit jeher galt sein besonderes Interesse der Kampfkunst. Bald schon begann er sich mehr für die Dächer von Hochhäusern und geschlossene Parkplätze zu interessieren, denn dort wurden die meisten Bandenstreitigkeiten und persönlichen Differenzen ausgetragen. Wong lernte schnell das einzig gültige Gesetz kennen - "Schlage erst und frage später". Es entstanden Beziehungen zu Schülern verschiedener Kampfstile, welche ihn für ein Kung Fu Studium motivieren wollten. Im Alter von 15-16 Jahren probierte Wong verschiedene Kung Fu Stile aus, begann zunächst Tai Chi Chuan zu lernen, wurde aber bald mit dem westlichen Boxen konfrontiert. Im Boxen sah er gute praktische Anwendungen und fing mit dem regelmäßigen Training an. Ein Zwischenfall beendete Wongs Box-Karriere. Aus Versehen traf Wong seinen damaligen Lehrer zu hart, dieser ging daraufhin verärgert auf ihn los. Dennoch gelang es Wong, aus Nase und Mund blutend, den Kampf zu gewinnen. Danach nahm er keine Stunden mehr, er hatte den Respekt vor seinem Lehrer verloren.

Ving Tsun war zu dieser Zeit kaum bekannt und Yip Man der einzig bekannte Lehrer. Wong Shun Leung hatte mit 17 Jahren die Gelegenheit Yip Mans Schule zu besuchen. Er beobachtete die Schüler beim Chi Sao Training. Die Bewegungen schienen ihm, im Vergleich zu seinen Erfahrungen im Boxen, sehr unpraktisch.

Wong Shun Leung

Wong Shun Leung

Schon bald wurde er von einem Schüler zu einem Kampf herausgefordert. Bereits nach wenigen Sekunden lag Wongs Gegner auf dem Boden. Betroffen fragte ihn Yip Man, ob er gegen einen Seniorschüler kämpfen wolle, Wong nahm an und hatte wiederum keine Probleme. Nun fühlte sich Yip Man gefordert, selbst zu kämpfen.

Wong erinnerte sich an die Geschichte mit seinem Boxlehrer und dachte er hätte gegen den 59jährigen ein leichtes Spiel und wollte ihn mit viel Fußarbeit und schnellen Bewegungen ermüden. Yip Man war jedoch strategisch überlegen, er manövrierte Wong in eine Ecke und als dieser zu einem halbhohen Fußtritt ansetzte, raubte Yip Man ihm durch einen Stoß gegen die Brust das Gleichgewicht, so dass Wong gegen die Wand fiel. Yip Man überbrückte die Distanz schnell und machte mit einigen Schlägen klar, dass er Wong hätte schwer verletzen können, wenn dies seine Absicht gewesen wäre. Yip Mans Körperkontrolle und die Schnelligkeit überraschten Wong völlig, er hatte seinen Meister gefunden.

Am folgenden Tag kämpfte Wong erneut, diesmal gegen Yip Bo Ching, einen der besten Schüler Yip Mans, der ihn mit Leichtigkeit besiegte. Dies überzeugte Wong vollends und er wurde ein offizieller Schüler von Yip Man. Yip Man beobachtete den sehr hart trainierenden Wong und äußerte daraufhin gegenüber seinem ältesten Schülers, Leung Sheung, dass er überzeugt sei, dass Wong in einem Jahr Ving Tsun in Hong Kong bekannt machen würde. Er täuschte sich, es dauerte kein Jahr, sondern lediglich drei Monate. Wong Shun Leung wog damals rund 53 Kilo, er nahm jeden Gegner an und ging aus allen Kämpfen als Sieger hervor. Zwischen seinem 18. und 20. Lebensjahr focht Wong über 60 Kämpfe aus.

Wong Shun Leung-Siu nim Tau

Wong Shun Leung-Siu Nim Tau

Wong hatte einige Neider und es wurden sogar Leute dafür bezahlt, gegen ihn anzutreten. Er machte Ving Tsun zu dem Gesprächsthema in Hong Kong, endlich gab es einen Stil, der Erfolge vorweisen konnte.

Durch William Cheung, einen ebenfalls namhaften Ving Tsun Kämpfer dieser Zeit, kam Lee Siu Lung ("Bruce Lee") zum Ving Tsun. Wong Shun Leung bemerkte schnell, dass Lee sein Ving Tsun Studium nicht ernst nahm, faul war und folglich langsam lernte. Kam er mit dem Gesetz oder Gegnern in Konflikt, verließ er sich immer darauf, dass William oder sein Vater ihn aus den Schwierigkeiten herausholten. Als William, der als Kämpfer Lees Vorbild war, nach Australien auswanderte, fühlte sich Lee verlassen in einer feindlichen und aggressiven Umgebung. Er wandte sich an Wong Shun Leung, um nun Ving Tsun ernsthaft zu erlernen. Darüber hinaus wollte er auch noch Privatstunden von Wong, was dieser jedoch ablehnte.

Lee, in seinem Ideenreichtum, lief nach der Schule schnell zum Haus von Wong, um vor seinen Trainingskollegen da zu sein. Als diese kamen, behauptete er einfach mit trauriger Miene, dass Wong nicht da sei. Alle gingen gemeinsam nach Hause, aber Lee Siu Lung kehrte zurück und kam so zu seinem gewünschten Privatunterricht. Während 1 1/2 Jahren unterrichtete Wong fast täglich den schlauen und erfinderischen Lee. Wong erkannte, dass Lees Stärke im Chi Sao lag. Seine Reflexe entwickelten sich so gut, dass er fähig war, sofort auf jeden Angriff sowie jede Krafteinwirkung des Gegners zu reagieren.

Wong Shun Leung-Holzpuppe

Wong Shun Leung-Holzpuppe

Das Training wäre sicherlich fortgesetzt worden, doch Lees Eltern schickten ihren Sohn in die Vereinigten Staaten, aufgrund seines komplizierten Lebenswandels. Die Freundschaft zwischen Wong und Lee beschränkte sich, außer wenn Lee zu Dreharbeiten oder zu Besuchen bei seinen Eltern nach Hong Kong kam, auf Briefwechsel. Als Lee begann in den USA Ving Tsun zu unterrichten, wandte er sich immer wieder an Wong, um sich Klarheit über verschiedene Techniken zu verschaffen.

Als Lee kurz vor seinem Tod wieder einmal Hong Kong besuchte, unterhielt er sich in einer Marathondiskussion mit Wong über Theorie und Technik des von ihm entwickelten Jeet Kune Do. Quintessenz war, dass Lee äußerte, er hätte das System nie entwickeln sollen. Wong fragte ihn nach den Gründen seines Zweifelns, woraufhin Lee erklärte, dass Jeet Kune Do, obwohl es ein fortschrittliches System ist, nicht zum Weitergeben geeignet sei. Lee selbst hat traditionell gelernt. Er kämpfte auf den Straßen, um Erfahrungen zu sammeln und versuchte dann, diese in ein neues System einzubringen. Ving Tsun und damit auch Chi Sao ist die Basis von Jeet Kune Do. Die Anpassung an die neuen Unterrichtsmethoden schien aber unmöglich. Die Grundlagen des Ving Tsun selbst mit all seinen Formen fehlten Lees Schülern.

Seit Anfang der 80er Jahre leitete Wong Shun Leung dutzende Seminare in vielen Ländern der Welt. Mindestens 3 Monate im Jahr war er unterwegs und auf seinen weltweiten Seminaren gab er seine Interpretation des Ving Tsun weiter.

Wong Shun Leung-Chi Sao

Wong Shun Leung-Chi Sao

Alle, die ihn kannten, waren tief erschüttert von seinem unerwarteten Tod am 28. Januar 1997. Wong Shun Leung war nicht nur von einmaliger Bedeutung für die Entwicklung unserer Kampfkunst, seine Persönlichkeit, sein Sinn für Humor und seine Diskretion waren äußerst bemerkenswert.

Wong Shun Leung war ein Beispiel dafür wie ein Mann eins werden kann mit seiner Kunst. Er begann als begabter Kämpfer, vertiefte sich in die körperlichen und mentalen Aspekte des Ving Tsun und am Ende war er tief durchdrungen von seinen Prinzipien. Er konnte sanftmütig oder bestimmend sein, ganz nach der jeweiligen Situation. Er hatte seine eigenen Grenzen erkundet, und erkannte deshalb auch die Grenzen anderer.

Er war ein ruhiger und entspannter Mensch, der wusste was er wollte und sagte was er dachte. Seine Lebensphilosophie war klar und unverblümt, wie ein altes Schwert, das auf den ersten Blick nicht gefährlich aussieht, bis man seine messerscharfe Klinge zu spüren bekommt.

Wong Shun Leung-Zentraler Fauststoß

Wong Shun Leung-Zentraler Fauststoß